MeToo bei Ajax Amsterdam : In einer Kultur des Sexismus

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MeToo bei Ajax Amsterdam : In einer Kultur des Sexismus
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  • Von deutschewhiskybrenner
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Das Smartphone vibriert, niemand geht ran, stattdessen springt die Mailbox an. „Hi Marc“, hört man einen Engländer sagen. Ob man sich treffen könne. Piep. Ein Spanier: „Hola, Marc.“ Piep. Eine Stimme mit französischem Akzent: „Hi, Marc.“ Piep. Das nächste Bild. Eine Kneipe. An der Theke sitzt ein Mann im graugescheckten Mantel und mit Schiebermütze auf dem Kopf. Er hebt sein Glas, nimmt einen Schluck. Ein feines Lächeln umspielt seinen Mund, und in weißer Schrift auf dunklem Grund erscheint: „Overmars 2026“.

Vor genau zwei Monate hat der holländische Fußball-Rekordmeister Ajax Amsterdam diesen knapp einminütigen Film auf seinen Social-Media-Kanälen ausgespielt, versehen mit dem Titel „Stop calling Marc“ und einem Zwinkersmilie. Es war eine Botschaft an all die Barças, PSGs und Arsenals da draußen: Ihr müsst euch keine Mühe mehr geben, Marc Overmars, seit fast zehn Jahren Sportdirektor bei Ajax, hat seinen Vertrag bei uns bis 2026 verlängert.

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Zwei Monate später ist aus „Overmars 2026“ quasi über Nacht „Overmars 2022“ geworden. Am Sonntag, eine Viertelstunde vor Mitternacht, hat Ajax verkündet, dass der Sportdirektor den Klub mit sofortiger Wirkung verlassen hat.

Die Gründe dafür sind verstörend und unappetitlich. Nachdem zunächst von grenzüberschreitendem Verhalten des Sportdirektors gegenüber weiblichen Mitarbeitern die Rede war, sind inzwischen weitere Vorwürfe gegen den 48-Jährigen aufgetaucht. Die Zeitung „NRC“ berichtet nun, dass Overmars auch Fotos seines Geschlechtsteils, sogenannte Dickpics, an eine Kollegin bei Ajax verschickt habe – und das nicht nur einmal.

Seit Dezember recherchiert die Zeitung in dieser Angelegenheit, hat nach eigenen Angaben mit elf Frauen gesprochen, die für Ajax arbeiten oder gearbeitet haben. Sie zeichnen das Bild von einer Machokultur innerhalb des Klubs, in dem Overmars eine besondere Rolle spielt.

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Intern war Overmars als geiler Bock verschrien

Ajax’ Sportdirektor hat sich demnach wie ein Stalker verhalten, hat Untergebenen immer wieder Whatsapp-Nachrichten geschickt, ist aufdringlich und anzüglich geworden. Intern soll er „Geilneef“ (etwa: geiler Bock) genannt worden sein oder „vieze oom“ (fieser Onkel). Eine der Frauen, mit denen „NRC“ gesprochen hat, sagt: „Sexismus gehört zur Kultur dieses Klubs.“

Auf die neuen Vorwürfe hat Overmars laut „NRC“ nicht reagiert. In der Mitteilung zu seinem Rücktritt war er mit den Worten zitiert worden: „Ich schäme mich zutiefst.“ Er habe leider nicht gemerkt, dass er Grenzen überschritten habe. „Das ist mir erst jetzt klar geworden.“ Für jemanden in seiner Position sei das Verhalten inakzeptabel, deshalb habe er keine andere Wahl, als den Verein zu verlassen.

Im Sommer 2012 hatte Overmars als Sportdirektor bei Ajax angefangen, bei dem Klub, bei dem er als Fußballer seine größten Erfolge gefeiert hat. Dass Ajax sportlich und finanziell so glänzend dasteht wie seit Jahrzehnten nicht, ist vor allem ihm und seinem Wirken zu verdanken.

Overmars war für den Aufschwung bei Ajax verantwortlich

Zusammen mit dem Vorstandsvorsitzendem Edwin van der Sar, seinem ehemaligen Mitspieler, hat Overmars den Klub zurück in die erweiterte Spitze des europäischen Fußballs geführt. 2017 stand Ajax im Endspiel der Europa League, 2019 fehlten nur wenige Sekunden zum Einzug ins Finale der Champions League. Auch in diesem Jahr steht die Mannschaft von Trainer Erik ten Hag, der eng mit Overmars zusammengearbeitet hat, wieder im Achtelfinale des Wettbewerbs.

Hinzu kommen die finanziellen Erfolge, die Overmars vorweisen kann. Durch Transfers – unter anderem von Frenkie de Jong, Matthijs de Ligt und Donny van de Beek – hat er dem Klub Einnahmen in dreistelliger Millionenhöhe beschert, ohne die sportliche Substanz des Teams nachhaltig zu schwächen. „Marc ist vermutlich der beste Sportdirektor, den Ajax je hatte. Wir haben nicht von ungefähr seinen Vertrag aufgewertet und verlängert“, hat der Aufsichtsratsvorsitzende Leen Meijaard nach Bekanntwerden der Vorwürfe gegen Overmars gesagt. „Aber er hat Grenzen überschritten, so dass es unmöglich war, mit ihm weiterzumachen.“

Ans Licht gekommen sind die Vorwürfe gegen Overmars wohl eher zufällig. Ende Januar hatte Edwin van der Sar eine Mail an alle Ajax-Mitarbeiter verschickt. Anlass waren Nachrichten über Missbrauchsfälle bei der TV-Show „The Voice of Holland“. Man werde dem Thema auch bei Ajax wieder größere Aufmerksamkeit widmen, teilte van der Sar mit, ohne offenbar einen konkreten Verdacht zu haben. Zugleich benannte er Vertrauensleute, an die sich Betroffene wenden könnten.

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Seine Mail schloss mit den Worten: „Dies ist ein sensibles Thema, aber ich will ihm ganz sicher nicht ausweichen.“ Eine Woche später war dies auch nicht mehr möglich.